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DIE UNENTSCHLOSSENEN ODER HIN UND WIEDER ZURÜCK

Die Unentschlossenen oder Hin und wieder zurück

frei nach J.R.R. Tolkien: The Hobbit or There and Back Again

 

Marseille verlassen wir am vierten Tag. Wir sind der großen Stadt müde. Die vorherigen Fahrten mit dem Bus haben uns den passenden Weg durch das Labyrinth der Straßen gewiesen, dem wir nun nur noch folgen müssen … und siehe da, in Null Komma Nichts rollt Leo die gut ausgebaute D559 entlang über den Col de la Ginestre nach Cassis, durch Toulon, Hyeres, und Le Lavandou. Entlang der “Azurblauen Küste“. 

“ … 1887 gelang dem Dichter Stephen Liégard, wovon noch heute jeder Urlaubstexter träumt: der ultimative Slogan „Côte d’Azur“, in dem magisch die Farbe des Meeres, das Blau der Romantik und der erotischen Liebessehnsucht zusammenspielt …“ 

 

Wie heißt es in einem anderen Text: 

“... Das suggeriert immer währenden Frühling, ewige Jugend und paradiesischen Luxus. Außerdem: Der blaue Himmel überspannt genauso alle Hässlichkeiten .“  

So ist es wohl, man ist versucht das Hässliche, das Störende nicht wahrzunehmen. Weil der Himmel so blau strahlt wie das Meer, die Pinien mit ihrem dunklen Grün einen wunderschönen Gegensatz bilden, man geblendet ist von dem Licht … doch hat es im Laufe der letzten Jahrzehnte so viele der Reichen und Schönen hierher gezogen, dass “unsereiner“ auf der Straße fahrend selten einmal einen Blick auf das Meer erhascht. Na klar … wir hätten auch gerne eine der paradiesischen Luxusvillen, die sich dicht an dicht entlang der Küste, bis teilweise hinauf auf die Bergspitzen ziehen. Nein … wir sind gar nicht neidisch … . 

 

Erst ab “le Lavandou“ zeigt sich das Meer wieder hier und da entlang des Weges. Hinter Cavalair-sur-Mer verlassen wir die D559, um auf der schmalen D93  nun Richtung Ramatuelle und hinunter zum Strand von Pampelonne zu fahren. Ein 4,5 km langer Sandstrand, etwa 2,5 km südöstlich von Saint-Tropez. Im Süden begrenzt vom Cap Camarat mit seinem Leuchtturm “Phare de Camarat“, der auf der Spitze der 128 Meter hohen Landzunge liegt. Einer der höchstgelegenen Leuchttürme Frankreichs. Von dort hat man einen fantastischen Blick über die Bucht, nach Saint-Tropez und in der Ferne auf die Schnee bedeckten Gipfel der Seealpen.

Direkt am Strand von Pampelonne finden wir auf dem großen, von Schilfgras umgebenen Stellplatz die Ruhe, die Natur und die Weite, die uns nach dem Aufenthalt in einer Großstadt wie Marseille zur Abwechslung gut tut. Die Temperatur ist mit 18 Grad sehr angenehm, die Bucht ist naturbelassen, von weit her streift uns das Licht des Leuchtturms in der Nacht. Ein einfaches Restaurant am Strand lädt ein, am Morgen ein Frühstück einzunehmen, draußen am Strand bei Sonnenschein, hat doch was  … wir lernen aber auch nie dazu: In Frankreich sollte man, wenn man nicht gerade im Besitz eines Dukatensch…. ist, niemals ein angepriesenes Frühstück in einem Restaurant einnehmen wollen. Man geht gefälligst, wie die Gallier, in die Boulangerie, kauft seine Brioche oder sein Croissant, dann in eine Bar, bestellt seinen Café und genießt sein Frühstück a la francaise. Das ist nicht teuer, dazu noch lecker und sehr interessant, die einheimische Bevölkerung bei ihrem morgendlichen Bar-Besuch zu beobachten. Hier, am Strand von Pampelonne, hatten wir das Vergnügen eines längs aufgeschnittenen Baguetts, vier Stückchen Butter, zweier winziger Gläschen Marmelade und je einer Tasse Café. Ach, es gab ja noch für jeden ein kleines Fläschchen O-Saft. Und da eine Tasse Café uns morgens nicht annähernd reicht, wurden eine nachgeordert. Die Rechnung kam dann als „Überraschung“ mit 28 Euro. Aber dafür hatten wir ja Sonne satt und einen schönen Blick über den Strand zum Meer, was gibt es denn da zu meckern.

 

Am nächsten Tag radeln wir die paar wenigen Höhenmeter (324m) hinauf nach Ramatuelle. Das mittelalterliche Dorf liegt an der Flanke eines Hügels am Fuß des Massif des Maures.  Enge, geschwungene und von Gewölben und Rundbögen überspannte Gassen winden sich spiralförmig die Anhöhe hinauf. Hübsch, pittoresk und vollkommen ruhig. Nur wenig Einheimische gehen ihren Geschäften nach, jetzt zu dieser Jahreszeit sind wir fast die einzigen Besucher. Eine alte Dame, mit Gehstock und schlecht zu Fuß, bleibt vor unseren Fahrrädern stehen, sieht uns auf der Bank sitzen, zeigt dann abwechselnd auf uns und die Räder … ihrem Ton und der Mimik ist zu entnehmen, dass sie beeindruckt zu sein scheint, hier herauf mit Drahteseln gefahren zu sein. Das bilden wir uns jedenfalls ein … verstanden haben wir ja leider nichts. Aber die Dame nickt freundlich und geht langsam ihrer Wege. Und dann … heißa … hinunter geht’s fast von ganz allein.

 

 

Die Weiterfahrt am Meer entlang über Frejus in Richtung Cannes entspricht dann doch noch dem Traum der Azurblauen Küste. So wie man es sich vorstelllt. Bildschön mit den für die westliche Côte d’Azur charakteristischen steil abfallenden roten Felsen. Leider ist nur selten mal ein Stopp möglich, wie hinter Saint-Raphael an der Calanque de Maubois.

 

 

 

 

In Mandelieu-la-Napoule gehen wir auf die Schnellstraße und umfahren damit Cannes. Unser Navi führt uns wieder einmal seltsame, verschlungene Wege hinauf Richtung Grasse. Ach … wir lieben die vielen Kreisel in Frankreich. Geben diese einem doch die Möglichkeit auf elegante Weise den Irrtum zu korrigieren und einen neuen Weg einzuschlagen. Wir hatten uns einen Stellplatz vor den Toren von “Gourdon“ ausgesucht. In einer Höhe von 760 m thront das alte Dorf im Hinterland von Cannes und Nizza auf einem Felsen. Einen passenden Übernamen hat man ihm schon verpasst “Nid d’Aigle“, was Adlerhorst bedeutet. Laut Wikipedia hatte Goudon im Jahr 1997 etwa 294 Einwohner. Nun sind es nur noch unter 100, wie uns die nette Inhaberin eines hübschen Lädchens verrät, in dem wir einige für die Provence typischen, aus natürlichen Ingredienzen hergestellten, herrlich duftenden Seifen kaufen. Dörfer dieser Art können nur noch überleben, in dem man sie touristisch vermarktet. So auch Gourdon. Das mag man bedauern, andererseits wären diese schönen Mauern aber wohl dem Verfall preisgegeben. Dann doch lieber so, und auf so charmante Weise wie es hier der Fall ist. Die Läden und Restaurants sind niveauvoll und bieten überwiegend landestypische Dinge an. Es gefällt uns hier und der Blick über die Mittelmeerküste von Nizza bis Cannes ist unbezahlbar. 

 

 

 

 

Das Häusermeer von Nizza, Monaco und Menton umschiffen wir wiederum auf der Autobahn. Bis weit die Berghänge hinauf ziehen sich die Siedlungen hin. Ein Berg fällt uns besonders auf, er ist geformt wie ein Zuckerhut und rundum bis zur Spitze gespickt mit Villen. Sieht fast aus, wie ein dicker Tannenbaum mit Weihnachtsschmuck. Trotz des Häusermeeres ist der Anblick angenehmer, als in einigen Teilen der Spanischen Küste, das muss man schon zugeben.

So, und nun geht’s über die Grenze nach Italien, kurz vor Ventimiglia. Unübersichtliches Gewirr von Zahlstellen empfängt uns noch auf französischer Seite. Die einzige Spur, die wir befahren können geht eigentlich nur mit „Telepass“. Die anderen haben Querbalken und sind nur für normale Pkw’s zu benutzen. Nun steh’ ich hier, ich armer Tor … die Schranke hebt sich natürlich nicht, rückwärts fahren ist absolut untersagt und wird mit hohen Strafen geahndet. Aber … es gibt einen roten Not-Knopf. Eine angenehme weibliche Stimme antwortet … und hilft uns in Englisch weiter. Wir sollen bitte einen Euro in den Briefkasten werfen. In den Briefkasten? … ja, da links unten, da ist so was in der Art, nun sehen wir den auch. Eine Münze hinein geworfen, ein Dankeschön von der netten Stimme … und schon hebt sich die Schranke. Geht doch. 

 

Also … der erste Eindruck … die Mautstationen und auch die Tunnel auf italienischer Seite, haben offensichtlich schon bessere Tage gesehen. Auch das Straßenbild ändert sich ziemlich abrupt. Es hat nichts mehr von der „Reichen-und-Schönen-Atmosphäre“ der Côtes d’Azur. Unser Ziel ist Olivetta-San-Michele, was im Ligurischen “Aurivéta“ heißt. Eine winzig kleine Gemeinde mit nur wenig mehr als 200 Einwohnern. Auch Olivetta liegt abseits der Hauptrouten, eine schmale Straße mit engen Kurven führt hinauf und uns zu unserem angestrebten Stellplatz inmitten eines terrassenförmig angelegten Olivenhaines. Schön ist es hier. Das haben auch ein paar „Aussteiger“ erkannt. Einige Dauercamper leben hier das ganze Jahr. Eine der “Bewohnerinnen“, zusammen mit ihrer Katze „Chanel“ und zwei weiteren Katzen von denen wir die Namen nicht wissen, begrüßen uns und weisen uns in die Gegebenheiten des Platzes ein. Sehr nett … sie spricht Französisch, etwas Italienisch, ein paar Brocken Spanisch, Englisch mit langem Suchen nach Worten … aber man versteht sich.  Wir bleiben zwei Nächte, machen einen Spaziergang die abschüssige Straße hinunter in den Ort … wir sind mal wieder zu spät dran. Jetzt ist Mittagspause, der einzige kleine Laden ist geschlossen. Dem Besitzer gehört auch der Stellplatz. Eigentlich wollen wir dort die Gebühren entrichten … macht nichts, morgen ist auch noch ein Tag, oder er wird schon vorbeikommen. 

 

Ja, und warum heißt die heutige Überschrift “Die Unentschlossenen …“? Weil wir es bis heute waren. Wollen wir nun nach Süditalien, oder lieber noch einmal nach Spanien und Portugal? Wir konnten uns nicht entschließen. Es ist aber auch zu dumm, dass man immer nur eines machen kann. Einerseits reizt das Neue, andererseits haben wir aber auch große Lust noch einmal unsere Lieblingsstadt Sanlucar zu besuchen, wir haben Lust auf Tapas, auf Portugal … und außerdem haben wir auch noch längst nicht alles Sehenswerte gesehen. 

 

Und so haben wir uns heute Morgen schnurstracks von Olivetta aufgemacht hinunter nach Ventimiglia, dort auf die Autobahn Richtung Montpellier und Spanische Grenze, und stehen am Abend wieder auf dem schönen Stellplatz bei Fontvielle in der Nähe von Maussane-les-Alpilles, wo wir schon auf der Herfahrt übernachtet hatten. Also wirklich “Hin und wieder zurück“. Verrückt … aber so sind wir und es ist schön, auch die Freiheit zu haben, wieder umzukehren.